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Logo Editorial (Grafik: br-medienagentur)„Es ist wichtig, die Menschen ernst zu nehmen und sich als Journalist nicht als Nabel der Welt zu sehen, der anderen erzählt, was richtig und was falsch ist.“
(Tom Buhrow, WDR-Intendant)

Liebe Leserin, lieber Leser, Sie wundern sich vielleicht, warum ich eingangs dieses Zitat des WDR-Intendanten Tom Buhrow als Intro für das November-Editorial verwendet habe. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen wollte ich Sie nicht schon wieder mit melancholischen Beispielen der berühmt-berüchtigten November-Tristesse volllabern – dieser Monat ist ohnehin grau und düster genug – und zum anderen beschäftigt mich seit geraumer Zeit das Thema „Pressefreiheit“, das rezent auch in anderen Medien ständig aufgegriffen wird.
Tom Buhrow hat vollkommen recht mit seinem Ausspruch. Journalisten sollen so berichten, dass sich Leser, Zuhörer und Zuschauer ihre eigene Meinung bilden können. Abgesehen von Kommentaren, in denen auch ein Journalist seine ganz eigene Meinung kundtun kann, müssen Berichte wahrheitsgemäß verfasst und deshalb gut recherchiert sein, bevor sie veröffentlicht werden.
Der Begriff „Lügenpresse“, der übrigens zum „Unwort des Jahres 2014“ gewählt worden war, fand bereits seit dem Spätmittelalter in übertragener Form bei religiösen Bewegungen in der Publizistik Verwendung und wurde im Laufe der Zeit auf allgemeine journalistisch tätige Autoren und deren Werke übertragen. In unserem Jahrhundert wird der Begriff „Lügenpresse“ in Deutschland hauptsächlich von Rechtsextremen und -populisten in den Mund genommen, die auch vor Androhungen und sogar Ausübung von Gewalt gegenüber Journalisten keinen Halt machen. Zu Übergriffen auf Journalisten bei rechten Kundgebungen ist es bereits gekommen, doch ist in unserem Land noch kein Fall bekannt, dass ein Journalist hierbei überaus schwer verletzt worden wäre oder sogar zu Tode gekommen sei, wie geschehen in anderen, auch in europäischen, Ländern, in denen Journalisten, die sich den Mund nicht haben verbieten lassen, sogar ermordet wurden. Diese Opfer fühlten sich gewiss nicht als der „Nabel der Welt“, sie wollten lediglich informieren, über Missstände berichten, und kamen so in den Fokus von gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Machthabern, denen Recherchen über ihre Person, ihr Unternehmen, ihre Institution missfielen und die dann ohne Skrupel Menschen zum Schweigen brachten, die andere Menschen ernst nahmen und für sie und ihre Meinungsbildung Miseren und Ungerechtigkeiten aufdecken wollten. Was müssen das für gewissenslose Kreaturen sein, die investigative Journalisten für immer aus dem Weg schaffen und/oder mit anderen Mitteln, wie Verhaftung und Gefängnis, mundtot machen, nur um ihre – m. E. ohnehin nicht vorhandene – Reputation in der Öffentlichkeit nicht ins Wanken zu bringen.
Andere Möglichkeiten Recherchen zu unterbinden, und somit der Öffentlichkeit zustehende Informationen vorzuenthalten, sind – auch in unserem zivilisierten Land, in dem Presse- und Meinungsfreiheit sogar im Grundgesetz verankert sind – beispielsweise die praktizierte Weigerung, schriftlich eingereichte Fragen einfach zu ignorieren und nicht zu beantworten oder den „unangenehmen“ Journalisten einfach aus dem Presseverteiler zu streichen, der Öffentlichkeit somit wichtige Informationen vorenthalten, und ihn im übertragenen Sinne mit einer „Lex specialis“ als „persona non grata“ abstempeln. Die Hauptakteure solchen Handels sind ihrem Verständnis nach ein „Nabel der Welt“.
Und apropos „Nabel der Welt“: Beim Schreiben dieses Editorials sinnierte ich darüber, weshalb immer die unwichtigsten Menschen denken, sie wären der „Nabel der Welt“. Eine Antwort darauf erschloss sich mir nicht.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, trotz grauer Novembertagen und trotz der „schweren Kost“ meines Editorials, das zu denken geben soll, Zeit für besinnliche Momente im Kreis der Familie.

Ihr
Herausgeber