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Ein Team um den Historiker Gerhard Ammerer untersuchte die Esskulturen der Residenzstadt Salzburg in der frühen Neuzeit. Was wurde gegessen? Wo kam es her? Und welche Unterschiede gab es zwischen den Gesellschaftsschichten? Der Hof war Knotenpunkt für Handel und Trends. Die Mahlzeiten bei Hofe dienten oft auch der Repräsentation und waren entlang der Hierarchie streng geregelt.
Gerhard Ammerer hält rund 2.500 Rezepte in Händen. Sie stammen aus dem „Neuen Saltzburgischen Koch=Buch“ von Conrad Hagger (1718/19). (Foto: Michael Brauer/Uni Salzburg)Gerhard Ammerer hält rund 2.500 Rezepte in Händen. Sie stammen aus dem „Neuen Saltzburgischen Koch=Buch“ von Conrad Hagger (1718/19). (Foto: Michael Brauer/Uni Salzburg)
Nicht nur der Inhalt der barocken Kochbücher im Salzburger Landesarchiv, sondern auch ihr Zustand überraschen. Keine Fettflecken, keine Eselsohren, keine Notizen oder Lieblingsrezepte, bei denen sie von selbst aufklappen. Gerhard Ammerer, bis vor Kurzem Leiter der Abteilung für Gastrosophie am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg, weiß warum. Zwischen 1500 und 1800 waren Kochbücher noch kostspielige Repräsentationsobjekte. Das Hagger’sche „Neues Saltzburgisches Koch=Buch“ von 1718/19, mit rund 2.500 Rezepten und bebildert mit 318 Kupferstichen, musste man sich leisten können. Niedergeschrieben wurde überhaupt nur die Festtagsküche, und zwar für Küchenprofis: „Zum jeweiligen Anlass wurde wohl besprochen, was auf den Tisch kommt. Vielleicht blätterten Koch und Hausdame darin und anschließend wurde das Buch zurück in den Bücherschrank gestellt.“ Die langjährige Beschäftigung mit der Geschichte des Essens in der Residenzstadt Salzburg mündete für ein Team um Gerhard Ammerer in das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Regionale Tradition und Kulturtransfer in der Ernährung. Das Beispiel der Residenzstadt Salzburg 1500–1800“.
Gute Quellenlage quer durch die Gesellschaft
Für eine mittelgroße Stadt der frühen Neuzeit konnte nachgezeichnet werden, was auf den Tisch kam, wie die Lebensmittel bezogen und verteilt wurden – vom Erzbischof bei Hof über das Gasthaus bis zur Armenküche. Die Quellenlage für alle Gesellschaftsschichten bezeichnet der Historiker als ausgezeichnet. Der Salzburger Hof als wirtschaftlich bedeutsamer Haushalt, Käufer, Arbeitgeber und Wohltäter hat die meisten Quellen hinterlassen. Aber auch die Zünfte, das Bürgertum, die Klöster sowie Armenhäuser sind gut dokumentiert. So kam im Zuge der kirchlichen Fürsorge an Feiertagen auch in der Armenausspeisung sogar feines Wildbret und Bier auf den Tisch. Und auch die Fastenküche war ausgefeilt. Schließlich wurde an mehr als 80 Tagen im Jahr gefastet, gerne mit Süßspeisen, aber auch mit Schildkröten aus eigener Zucht.
Cuisinier – Patissier – Traiteur – Rotisseur, Kupferstich von Benard, aus: Denis Diderot, Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Handwerke), Paris 1763 (Foto: Universität Salzburg)Cuisinier – Patissier – Traiteur – Rotisseur, Kupferstich von Benard, aus: Denis Diderot, Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Handwerke), Paris 1763 (Foto: Universität Salzburg)
 
Trends, Zutaten und Schauküche
Der Hof in Versailles und italienische Höfe waren für die Residenzstadt Salzburg Vorbilder in der Esskultur. Das Bürgertum wiederum imitierte den Hof. Trends fanden über den Austausch von Köchen und Rezepten ihren Weg ins Erzstift. Auffallend war etwa der im untersuchten Zeitraum steigende Verbrauch von mediterranen Zitrusfrüchten und Mandeln, was durch den regen Nord-Süd-Handel mit dem Adriaraum möglich wurde. Oder die Verwendung immer vielfältigerer Gewürze, wie etwa der Muskatblüte. Um 1600 gab es rund 200 „Hoftafelberechtigte“, die als Bedienstete mitverköstigt wurden. Dabei wurden täglich 600 Liter Wein an den Tafeln ausgeschenkt – Tendenz steigend. Hofordnungen, Besoldungslisten, Rezepte, Briefe und Register der Weinbestände sprechen aus der Barockzeit zu uns. Speisen dienten auch der Repräsentation, parallel wurde jedoch Sparsamkeit gepredigt: „In Conrad Haggers Kochbuch abgebildet ist etwa ein Drahtgestell, mit dem das Gefieder wieder über den fertigen Braten gestülpt werden konnte. Die Schauküche sollte Gäste beeindrucken, manches wurde gar nicht gegessen. Die Speisenfolge war gerade an Festtagen üppig, aber es wurde nichts weggeworfen, sondern die Reste als „Abhub“ den in der Hierarchie untergeordneten Bediensteten serviert.“
Stöbern in historischen Kochbüchern – das Projektteam von links: Michael Brauer, Simon Edlmayr, Martina Rauchenzauner, Gerald Hirtner, Gerhard Ammerer, Jutta Baumgartner (Foto: Kolarik)Stöbern in historischen Kochbüchern – das Projektteam von links: Michael Brauer, Simon Edlmayr, Martina Rauchenzauner, Gerald Hirtner, Gerhard Ammerer, Jutta Baumgartner (Foto: Kolarik)
Spannend als Quelle waren für das Forschungsteam in Salzburg unter anderem zwei Einschreibbüchlein von Johann Ambros Elixhauser. Der Wirt des Stieglbräus, einer mittelständischen Gaststätte, machte ab 1756 über Jahrzehnte Notizen zu allen bei ihm stattgefundenen Feiern und Festen und listete jeweils den Anlass, die Personenanzahl, die zubereiteten Speisen und Getränke sowie die Kosten dafür auf. Im Stieglbräu feierten Studierende ihre Abschlüsse, Priester ihre Primiz und Zünfte hielten ihre Jahrtage ab: „Reiche“ Gewerbe wie Goldschmiede oder Bierbrauer konnten dabei üppiger feiern als „arme“, wie etwa die Fischer, so erfährt man aus diesen Einträgen.
 
Rezepttausch auf dem Postweg
Insgesamt lässt sich von 1500 bis 1800 eine Verfeinerung der Küche und der Tafelsitten nachzeichnen. Es wurde immer mehr in Hof-, Zunft- und Marktordnungen reguliert und bestimmt, wie und wo gegessen werden durfte. Immer mehr Menschen waren ausschließlich mit der Lebensmittelversorgung beschäftigt. Viele Informationen zu Rezepten oder zur Qualität von Gaststätten wurden auch auf dem Postweg zwischen Höfen und Bürger:innen unterschiedlicher Staaten ausgetauscht. Von den Reisen der Familie Mozart sind zahlreiche Briefe erhalten, in denen es darum geht, was es wo in Europa zu essen und trinken gab – und was nicht. Nicht in den Archiven gefunden haben Ammerer und sein Team heutige Klassiker wie Mozartkugeln oder Salzburger Nockerln.
 
Zur Person
Gerhard Ammerer studierte Geschichte, Germanistik und Jus an den Universitäten Salzburg und Innsbruck. 2000 habilitierte er sich an der Universität Salzburg für das Fach „Österreichische Geschichte“, 2009 für das Fach „Rechtsgeschichte“. Von 2014 bis 2020 leitete er die Abteilung für Gastrosophie und noch bis 2023 den universitären Studienlehrgang „Gastrosophische Wissenschaften“. Seit 2015 ist Ammerer Mitglied der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Akademie der Wissenschaften. Das dreijährige Projekt „Regionale Ernährung und Kulturtransfer: Salzburg 1500–1800“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 348.000 Euro gefördert und durch das Citizen-Science-Projekt „Salzburg zu Tisch“ erweitert.
 
Publikationen und Beiträge
Gerhard Ammerer, Ingonda Hannesschläger, Martin Holý (Hg.): Festvorbereitung – Die Planung höfischer und bürgerlicher Feste in Mitteleuropa 1500–1900, Leipziger Universitätsverlag 2021
Gerhard Ammerer, Michael Brauer u. Marlene Ernst: Barocke Kochkunst heute. Das Adelskochbuch der Maria Clara Dückher, Anton Pustet, Salzburg 2020
Buchreihe „Gastrosophische Bibliothek“, 8 Bände, Mandelbaum Verlag Wien–Berlin
Epikur, Journal für Gastrosophie: www.epikur-journal.at
Bild und Text ab Montag, 3. Jänner 2022 ab 9.00 Uhr MEZ verfügbar unter: https://scilog.fwf.ac.at
 
 
Ingrid Ladner
FWF - Der Wissenschaftsfonds
Redaktion scilog
Telefon: +43-1/505 67 40-8117
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